unten links monogrammiert:





© VG Bild-Kunst, Bonn 2023



Provenienz

Geschenk der Künstlerin an Thyra Wallin, Stockholm (1920), vom Vorbesitzer dort direkt

erworben; Bukowskis Stockholm, 3./4.11.1993 Moderna Auktion 489, lot 235; Christies New

York, Impressionists & Modern Paintings, 11.5.1994, lot 193 (hier irrtümlicherweise auf 1920

datiert); Privatsammlung Norddeutschland

Literatur

Peter Lahnstein, Münter, Ettal 1971, S. 30, Abb. S. 33;

Erich Pfeiffer-Belli, Gabriele Münter. Zeichnungen und Aquarelle, Berlin 1979, Nrn. 32-34,

S. 82-87, mit Abb.



Nach dem großen internationalen Erfolg der Münchener Künstlervereinigung Blauer Reiter

wurden deren Mitglieder zu Beginn des I. Weltkrieges in alle Richtungen verstreut;

Kandinsky ging vorerst nach Rußland zurück und Gabriele Münter reiste mit der

Unterstützung der Ehefrau des Berliner Sturm-Galeristen Herwarth Walden, Nell, über

Dänemark nach Schweden. In Stockholm wollten Kandinsky und sie sich auf neutralem

Boden wiedersehen können. Kandinsky kam zur Jahreswende 1915/1916 nach Stockholm, wo

Gabriele Münter eine Ausstellung seiner Werke im Februar und ihrer Arbeiten im März in der

Galerie Gummeson organisiert hatte. Im selben Monat zog er endgültig nach Rußland und

heiratete im Jahr darauf Nina Andreewsky.

Nach anfänglichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten – auch in Schweden herrschten 1916

Handelsbeschränkungen, Rationierung und aufgrund von Mißernten Lebensmittelknappheit –

konnte Gabriele Münter in schneller Folge Porträtaufträge erfüllen und Erfolge mit

verschiedenen Ausstellungen ihrer Werke verbuchen, auch gesellschaftlich wurde sie alsbald

eingebunden.

1915 trafen sich Gabriele Münter und Thyra Wallin zum ersten Mal und die Künstlerin

wohnte eine Weile bei der Familie am „Observatoriegatan“. Zu Weihnachten diesen Jahres

schenkte Thyra der Künstlerin zur Förderung wohl auch ihrer Sprachkenntnisse mit Victor

Rydbergs „Singoalla“ einen Klassiker der schwedischen Romanliteratur. Das 1916

entstandene Gemälde „Musik“ zeigt die Familie Wallin in ihrem Wohnzimmer musizierend.

Diese Interieurszene vermittelt einen Einblick in eine private familiäre Atmosphäre und läßt

aufgrund der liebevollen Schilderung ein beinahe so großes Zugehörigkeitsgefühl ahnen wie

Münters Bilder aus ihrer Münchener Zeit der Wohn- und Lebensgemeinschaft mit Kandinsky

zeigen. Die Mitglieder der Familie Wallin waren Gabriele Münters gute Freunde in

Schweden; weitere Tuschpinselzeichnungen nach Thyra entstehen um 1917 (s. Pfeiffer-Belli,

op.cit., Nrn. 32-34). In einem Brief von 1918 bezeichnet sich Thyra Wallin selbst als Gabriele

Münters „Stockholm-Vertreter“ (Brief vom 18.1.1918, Gabriele Münter- und Johannes

Eichner-Stiftung, zit. nach Ausst. Kat. München/Frankfurt/Stockholm 1992/193, S. 150).

In dem Gemälde „Musik“ wohl links sitzend, verraten lediglich Kopfform und Frisur des

roten Haares etwas über Thyras Aussehen. Dahingehend ist im vorliegenden Bildnis einem

individuellen Porträt gemäß, der Fokus auf die physiognomischen Eigenheiten gelegt, die

kindlich-mädchenhaft auch in der Mimik anmuten. Aber die Faktur der flächig aufgebrachten

Farbe und die Reduktion auf wenige Farbtöne, die vermeintliche Schlichtheit, ist nicht nur

typisch für Münters Arbeitsweise, sondern verleihen der Darstellung über ihren individuellen

Charakter hinaus die Bedeutung eines allgemeingültigen weiblichen Bildnisses.



„Bildnismalen ist die kühnste und schwerste, die geistigste, die äußerste Aufgabe für den Künstler.

Über das Portrait hinaus zu kommen, kann nur der fordern, der noch nicht bis zu ihm vorgedrungen ist“,

(Gabriele Münter).

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