Figur
In der Zwiesprache mit Klinges Kunstwerk, so elementar wie universell „Figur“ betitelt, mag der Betrachter seinen Gedankenstrom nur schwer einzudämmen. Was genau ist das androgyne Wesen, das seine eigenen Arme in Gestalt von knospenden Forsythien gebärt? Die Assoziation neigt zu Statuetten oder auch Grabbeigaben aus den alten Hochkulturen – begünstigt durch die orientalische Kopfbedeckung, konterkariert durch den okzidentalen Baum oder Strauch. Weniger pathetisch handelt es sich um eine „Monstrosität“ nach voraufklärerischer Definition: „wider die Natur, oder seinen wahren Ursprung durch die Annahme einer fremden Gestalt verleugnend“. Der Fingerzeig auf die Natur bietet einen fruchtbaren Denkansatz: Im Zusammenhang mit der Bildenden Kunst fällt häufig der Topos „Mimesis“; wobei es sich hierbei keinesfalls um simple Natur-Nachahmung handelt, sondern vielmehr um die Nachahmung der schöpferischen Kraft der Natur. Der Künstler schafft Neues und Anderes, er vermehrt die (bekannte) Realität und verändert seine und des Betrachters Verortung in derselben. Im Idealfall folgt aus der Veränderung ein Obsolet-Werden überkommener Realitätsbegriffe, eine Verringerung des Angewiesen-Seins auf das scheinbar Bewährte, eine Emanzipation. Wenn dergestalt das Kunstwerk sich dem Versuch verweigert, es eindeutig zu bestimmen, lässt uns der Künstler die Freiheit, selbst zu denken – mit anderen Worten: Das Kunstwerk gibt dem Betrachter keine Antworten, sondern hilft ihm, Fragen zu stellen.
-Brigitte Herpich