Dietrich Klinge

Der weibliche Torso wirkt etwas „kopflos“; das Gesicht ist verborgen hinter den verschränkt erhobenen Armen. Was durch diese Körperhaltung auch verschwindet, ins Unsichtbare gleitet, sind die Hände. Wer mit Dietrich Klinges Werk vertraut ist, weiß, welche Bedeutung der Hand in seinem Schaffen zukommt – hier sieht man sie nicht.

Am Gebrauch der Hand lässt sich, so die historische Anthropologie, zunächst der evolutionäre, später der zivilisatorische Entwicklungsstand des Menschen ablesen. Aber wenn die Person, so wie Klinges Skulptur, keine Hände hat? Ist sie dann unzivilisiert? Eigentlich fehlen sie ihr nicht, sie sind lediglich dem Gebrauch entzogen. Oder es wird gar willentlich auf den Gebrauch verzichtet, um auf essentielle Gegebenheiten aufmerksam zu machen: Mit der Hand kontaktiert der leibliche Mensch die ihn umgebende dingliche Welt, berührt Gegenstände ebenso wie Mitmenschen. Aus der Berührung wird ein Zugreifen, daraus ein Festhalten. Der Mensch „begreift“ das Objekt und versichert sich dessen. Aber die Hand kann im Zugriff auch würgend zudrücken, übergriffig werden, eine illegitime Macht ausüben. Der Künstler lässt offen, inwieweit der Gebrauch der Hand nun positiv oder negativ konnotiert sei. Indem er jedoch daran erinnert, wie unendlich vielfältig dieser ist, wie unvergleichlich einmalig und nicht reproduzierbar, wirft er uns zurück auf seine einzigartige Skulptur, die selbst bestimmt, wie viele oder wie unendlich viele mögliche Ansichten sie uns bietet.



-Brigitte Herpich

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